Freitag, 28. Januar 2022

Wie ich dachte, das war´s jetzt

Da dieser Blog auch so was wie mein Tagebuch ist, dachte ich, ich muss vor allem für mich noch mal in Worte fassen, wie das für mich war, als ich dachte, ich muss sterben.

Es gibt Dinge, die möchte man vergessen. Verdrängen. Nicht mehr drüber nachdenken. Und es gibt Dinge, die sollte man für sich noch mal aufarbeiten. Meine Fuck Corona Erkrankung gehört dazu.

Durch einige dumme Situationen in unserer Firma hat sich mein Mann bei einem unserer Mitarbeiter angesteckt und wir beide mussten in Quarantäne. Das war im März 2021. Zuerst war das noch ganz aufregend, denn einfach so frei zu haben, dachte ich, ist auch mal ganz nett. Das hat genau einen Tag angedauert, dann fing ich an, Panik zu schieben. Ich machte mir vor allem Sorgen um meinen Mann. Der hat aber nach ein paar Tagen mit leichtem Fieber und Husten keine großen Beschwerden mehr gehabt und hat dann im Garten rumgemuckelt und dies und das repariert. Ich war immer noch negativ getestet. Hab aber ganz merkwürdige Symptome gehabt, viel Husten vor allem und Schnupfen. Aber jeder Test noch negativ. 

Dann fing es an, so nach 8 Tagen, mir komisch zu gehen. So habe ich mich noch nie gefühlt zuvor, einfach MERKWÜRDIG. Krank, unleidlich, appetitlos. Abends am 10. Tag der Quarantäne war mein Test auch positiv. Ich war eine Mischung aus erleichtert und betroffen. Erleichtert, weil ich dachte, okay, ich habe schon ein paar Tage Symptome, schlimmer wird es wohl jetzt nicht mehr, ich hab das hinter mir. Betroffen, weil ich lange gehofft hatte, ich stecke mich vielleicht echt nicht an. Ich bin jemand, der NIE krank ist. Einmal im Jahr erkältet, ansonsten nie krank. Mein Immunsystem ist super drauf, ich bin sportlich, immer an der frischen Luft, ernähre mich gesund bis zum get no. 

Ich dachte, ich bin unverwundbar.

Ich dachte, wenn das jemand super wegsteckt, dann ich.

Am Morgen des 11. Tages der Quarantäne konnte ich nicht mal mehr meine Spucke schmecken. Keine Zahnpasta schmecken, nichts mehr riechen. Totalverlust von Geschmack und Geruch. Etwas unheimlicheres hatte ich noch nie erlebt. Man konnte sich sonst wie bemühen, der Sinn war totgelegt.

Am Nachmittag musste ich zum Drive-in-Test fahren, meinen PCR Test machen lassen. Mir war eh klar, war dabei rauskommt. Um 16 Uhr sollte ich los fahren, das erste Mal wieder im Auto, nach 11 Tagen! Ein paar Stunden vorher wurde mir auf einmal speiübel. Überfallmäßig übel. Ich habe einen Eimer mitgenommen im Auto, für den Fall der Fälle, aber war zum Glück nicht nötig. Test gemacht, nach Hause, sofort ins Bett. Mir war SO übel wie noch nie in meinem Leben. Ich fühlte mich schlagartig so sterbenskrank, das Gefühl hatte ich noch nie zuvor. Die nächsten Tage vergingen alle auf die gleiche Weise. 

Ich kam nicht mehr aus dem Bett. Ich konnte nichts mehr essen und kaum etwas trinken. Ich konnte nicht schlafen und nicht lesen, nichts gucken, keinen Film, keine Serie, nichts. Ich konnte nichts mehr. Und damit meine ich: nichts.

Ich lag da nur.

Ich habe draußen die Enkelkinder spielen gesehen und gehört. Die Sonne kam ab und zu mal raus. Die Vögel zwitscherten sich einen ab. Es wurde morgens hell und abends dunkel. Ich machte kein Auge zu. Ich schlief drei Tage und Nächte nicht und konnte nichts essen und trinken. Ich bat meinen Mann um alles mögliche, Saft, Möhrensalat, Brot...Nichts davon bekam ich runter. Er saß an meinem Bett und sah besorgt aus. 

Es war nicht so wie bei einem Magen-Darm-Virus. Den saß ich bisher auf einer Backe ab, wenn ich ihn mal bekam. Es war ANDERS. Ich lag und dachte, so muss sich sterben anfühlen. Man wird einfach immer schwächer und eines Tages schläft man einfach ein. Der Notarzt kam und gab mir ein Mittel gegen Übelkeit. Es half nichts. Ich bekam Fieber, das nicht mehr runterging, nicht mit Medikamenten, mit nix. Ich schaffte gerade so den Gang auf die Toilette, sonst nichts. Ich musste aber kaum, denn ich trank ja fast nichts. 

Am vierten Tag in der Nacht wurde ich mit dem Notarztwagen ins Krankenhaus gebracht. 

Meine Sauerstoffsättigung war nicht berühmt, ich hatte auch Husten und konnte auf dem Rücken nicht gut atmen, aber das war nicht das Problem. Ich war dehydriert und brauchte einige Liter Flüssigkeit als Infusion.


Ich war eine Woche im Krankenhaus auf der Isolierstation. Dreimal am Tag wurden meine Vitalwerte genommen, meine Sauerstoffsättigung, mein Fieber gemessen. Keiner redete viel mit einem, die Pfleger und Schwestern waren auf der Station komplett unterbesetzt, wie überall. Jeder, der reinkam, war vermummt bis zum letzten. Mein Zimmer hatte eine kaputte Heizung, keine Vorhänge und das älteste Badezimmer in der Geschichte von Badezimmern. Das war mir alles egal. Ich war eh nur im Bett und fing an, Podcasts zu hören. Lesen und etwas schauen war noch immer zu anstrengend. 

Ich fing an, winzige Portionen zu essen. Am Ostersonntag gab es ein Ei, das habe ich gegessen. 


Mein Mann holte mich nach der Woche ab, ich schaffte es gerade so ins Auto. Zu Hause gleich wieder ins Bett. Die folgenden Tage gewöhnte ich mich langsam wieder ans Essen. Ich duschte zum ersten Mal wieder, mit einem Hocker in der Dusche, stehen ging noch nicht. Nach dem Duschen musste ich mich wieder hinlegen. Nach fünf Tagen kochte mein Mann unter meiner Anleitung Kartoffeln, Rosenkohl und Lachs. Das war das erste Essen, das ich mit Hunger essen konnte und richtig genießen konnte. Geschmack und Geruch waren zu dem Zeitpunkt schon wieder recht konstant da. Morgens immer noch nicht, aber immer am Vormittag kehrten die Sinne recht zuverlässig zurück.

Nach diesem köstlichen Mahl ging ich das erste Mal auch wieder an die frische Luft. Bei meinem Mann eingehakt gingen wir um den Block. Das sind vielleicht 400 Meter. Ich schlich so dahin und fand alles großartig. Autos, Baustelle, alles. Ich war der glücklichste Mensch auf der Welt. 

Ich war wieder unter den Lebenden angekommen.

Ich schreibe dies auch für all die, die denken, sie sind unverwundbar, so wie ich dachte. Die denken, das packen sie schon, es wird sicherlich nicht schlimm werden, sie sind gesund und fit. 

Ich WAR gesund und fit. 

Ich konnte mich immer, wenn ich mal was hatte, an meinen Haaren selbst wieder rausziehen. Zusammenreißen, wieder gesund werden, Zähne zusammen beißen, das kann ich wirklich gut. 

Aber Corona - das war eine andere Nummer. Das hat bei mir den Stecker so radikal gezogen, ich war so machtlos, so hilflos. All meine Strategien von vorher halfen da nicht. Ich dachte wirklich, ich werde sterben. Ich lag im Bett, unfähig zu schlafen, unfähig zu lesen, unfähig zu essen und zu trinken, unfähig, mich zu waschen, unfähig mich zu bewegen und das Glas zu greifen. Und im Radio unten im Wohnzimmer spielte ein Song mit dem Text "Goodbye Michelle, it´s hard to die...when all the birds are singing in the sky...."

Und ich dachte: ja. 

Dann sterbe ich wohl. So muss es sich jedenfalls anfühlen. Ist nicht schlimm. Dann ist wenigstens demnächst Ruhe und ich kann endlich schlafen. Und mir ist nicht mehr übel. Die Aussicht darauf war nicht die schlechteste in den Tagen. Die Lebenskraft floss einfach raus aus mir, aus den Fingern, aus meinen Beinen, aus meinem Gehirn. So etwas habe ich noch nie vorher erlebt und will es auch erst wieder erleben, wenn es soweit ist. 

Im März 2021 habe ich gedacht, es ist soweit.

Heute geht´s mir wieder gut. Wie das kam, erzähle ich das nächste Mal. Vielleicht hilft es jemandem.