Mittwoch, 20. Mai 2015

Selbst schuld

"Haste selber Pech", würde unsere Tochter jetzt sagen. "Selber Pech" ist ein Ausdruck aus ihrer Kindheit, da bekommt man ja noch Redewendungen durcheinander. Und Wörter. Und erfindet nebenbei neue Gerichte wie "Pfannpuffer".
 
Aber darum geht´s hier gar nicht. Es geht um SELBST SCHULD.
 
Aufgrund der bundesweiten Streikaktionen der Kitas, der Lokführer, der Piloten, der Post und was weiß ich noch wird man ja ab und an mal nachdenklich. Ich hab zu wenig Plan davon, was genau das Ziel des Streiks ist, ich hab keine Ahnung von Tariflöhnen der Lokführer, ich kann nicht beurteilen, ob eine Erzieherin zu wenig verdient oder nicht. Daher halte ich mich bei Diskussionen darüber auch fein raus, denn ich red nicht gerne von Dingen, von denen ich keinen Schimmer hab. Kannste dich nur blamieren.
 
Mir geht´s um was anderes. Um SELBST SCHULD. Das biste nämlich, wenn du selbstständig bist.
 
Wir sind ja selbstständig. Für die, die es noch nicht wissen. Wir haben vor 15 Jahren ein Autohaus gekauft.
 
Und es ist vollkommen egal, was es ist, worüber man sich ab und zu mal ausheult, so wie es jeder mal tut in seinem Beruf, egal, was einem auf dem Herzen liegt, egal, ob einem ein Herr Dudenhöfer das Leben schwer macht, wenn er von Rabatten faselt, egal: wir sind selbst schuld. Wir haben uns das ja AUSGESUCHT. Wir hätten ja einfach nicht selbstständig zu werden brauchen. So einfach ist das. Wir sollen gefälligst froh sein, wenn wir den monatlichen Blumenstrauß von der Steuer absetzen können und sollen aufhören RUM ZU JAMMERN!
 
Gesetzt den Fall, es gibt niemanden mehr, der sich selbstständig machen will. Niemanden, der das Risiko eingeht, mächtig auf die Schnauze zu fallen. Der die Verantwortung für Angestellte übernimmt. Und einen Haufen Schulden auf sich nimmt. Dann sitzen wir alle richtig in der Scheiße. Punkt.
 
Ganz ehrlich geht mir dieser Spruch "Ja, aber das habt ihr euch doch selber ausgesucht....!" ganz mächtig auf den Keks. Und noch ehrlicher: hat ein Lokführer doch auch. Oder ein Postbote. Das ist ja nun mal ´ne Tatsache. Oder hat bei dem  jemand geklingelt, ihm einen Sack über den Kopf gestülpt, ihn in einen Transporter geworfen, ihn an der nächsten Poststelle rausgelassen, ihm ein Postbotendress angetackert und ihn mit erhobener Waffe gezwungen, von nun an Post auszutragen?
 
Wohl nicht.
 
Mag sein, dass er der Meinung ist, sein Gehalt und seine Wochenarbeitsstunden sind ungerecht. Das kann ich nicht beurteilen. Aber seinen BERUF wird er sich wohl selbst ausgesucht haben. Vielleicht hat er nicht absehen können, WIE VIEL Arbeit das ist. WIE VIELE Überstunden er machen muss. WIE selten er seine Kinder sieht. Und WIE oft er weder auf Elternabenden noch auf Schulaufführungen dabei sein wird.
 
Mag sein.
 
War uns vor 15 Jahren auch nicht klar. Uns war nicht klar, wie viele schlaflose Nächte wir haben würden. Wie sehr sich der Markt für Autos verändern wird. Wie sehr wir unter der Wirtschaft, dem Hersteller, den Banken, dem Finanzamt oder auch einem Tsunami zu kämpfen haben. Wie oft wir die einzigen Eltern waren, die mal wieder keinen Plan hatten von dem, was in der Schule abgeht.
 
Im Jahr der Abwrackprämie hatten wir soviel Arbeit, dass es schlicht gar keine Freizeit gab. Wir haben am Tag 12 Stunden und mehr gearbeitet und jedes Wochenende noch die Abwrackanträge geschrieben. Und als unsere Tochter einmal weinend ankam und schluchzte "ich hab Heimweh nach euch", obwohl wir ja quasi an der Firma wohnen, da hat mir das auch das Herz gebrochen. So wie es jeder Mutter gehen würde, die arbeiten muss und das Gefühl hat, das Kind kommt dabei zu kurz. Da ist es egal, ob man selbstständig ist oder angestellt.
 
Haben wir uns das so ausgesucht?
 
Sagt das doch auch dem Lokführer. Oder am besten: sagt es keinem von beiden. 
 
Aber wieso haut man solche Sprüche immer nur den Selbstständigen um die Ohren?
 
Ist mir halt so aufgefallen. In den letzten Wochen. Vielleicht auch, weil wir momentan sooo viel Arbeit haben (Achtung, Standardspruch: "Seid doch froh!!!"), dass wir ganz irre werden. Es ist in der Tat so viel, dass man es eigentlich nicht schaffen kann, dann Dinge vergisst und nachts aufwacht, weil sie einem einfallen. Und dass man geplante freie Tage nicht antreten kann, weil es einfach nicht geht. Fertig. Da kommt man schon mal ins Grübeln, wenn man von einer 35-Stunden Woche hört....
 
Keine Frage, wir sind gerne selbstständig. Jedenfalls meistens.  Die Selbstständigkeit HABEN wir uns ausgesucht, ja. Wir wussten nicht, worauf wir uns eingelassen haben und haben unser Lehrgeld bezahlt. Wir wissen die Vorteile zu schätzen und offensichtlich überwiegen sie für uns.
 
Nur eine Bitte: den Spruch "Das habt ihr euch doch selbst ausgesucht", den darf man ruhig noch mal überdenken, bevor man ihn loslässt. Nur so´n Tip. Kommt ganz gut an, wenn man kurz vorher nachdenkt.
 
Denn jedem müsste klar sein, dass auch ein Selbstständiger sich fehlende Familienzeit nicht absichtlich ausgesucht hat. Und Kinder, die einen vermissen. Und schlaflose Nächte. Das überrollt uns genauso wie es einen Lokführer überrollt, der seine Überstunden nicht los wird, weil zu wenig Personal da ist. Da gibt es keinen Unterschied. Zu viel Arbeit ist zu viel Arbeit. Und zu wenig Geld dafür ist zu wenig Geld dafür. Ob angestellt oder selbstständig.
 
Und das hat sich KEINER ausgesucht.
 
So.
 
Das musste mal raus. Mir ist klar, dass ich damit eventuell manchen auf den Schlips trete. Und ich weiß auch, dass das eventuell falsch ankommen kann, weil wir ja nun mal ein Autohaus haben. Aber ich sag euch mal was, und das betrifft im Grunde alles, was ich hier schon gepostet habe, in meinem eigenen Blog: ich bin mal in erster Linie nicht Autohaus-Chefin, sondern ein Mensch. Deshalb darf ich auch von Brustoperationen schreiben und von Eheproblemen. Und von schönen Momenten und großartigen Erlebnissen. Darf meine Kunden ins Herz schließen. Bammel haben vor großen Veranstaltungen. Enttäuscht sein, wenn mich jemand vor den Kopf stößt.
 
So verkauf ich Autos und so schreib ich auch. 
 
 

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